„In Her Hand“: Interview über die Bedeutung des Werks der drei surrealistischen Bildhauerinnen
Renate Wiehager und Katharina Neuburger in In Her Hands. Bildhauerinnen des Surrealismus, Bucerius Kunst Forum, Foto: Ulrich Perrey
Die beeindruckende Ausstellung „In Her Hands. Bildhauerinnen des Surrealismus“ läuft noch bis 1. Juni 2025 im Bucerius Kunst Forum am Alte Wall. Wir sprachen mit den beiden Kuratorinnen Katharina Neuburger und Renate Wiehager.
Alle drei Künstlerinnen waren Teil der internationalen Avantgarde vor dem zweiten Weltkrieg. Aber bekamen sie damals auch die Anerkennung, die ihnen gebührte?
Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg waren die drei Künstlerinnen Teil wichtiger Bewegungen: Sonja Ferlov Mancoba (1911–1984) agierte im Zentrum unterschiedlicher Gruppen, etwa der skandinavischen Gruppe linien. Gemeinsam etablierten die Mitglieder mittels Ausstellungen und Publikationen ein europäisches Netzwerk künstlerischer Kooperationen. Maria Martins (1894–1973) war seit ihrem Umzug 1939 in die USA, wo sie lange Zeit lebte, ein erfolgreicher Teil des Netzwerkes von Künstler:innen im amerikanischen Exil, darunter André Breton, Marcel Duchamp und Peggy Guggenheim. Rio de Janeiro, Paris, Tokio, Brüssel und Kopenhagen zählen zuvor zu ihren wichtigsten Stationen, überall machte sie Bekanntschaft mit Akteur:innen unterschiedlichster Bewegungen. Isabelle Waldberg (1911–1990) war 1938–40 und dann wieder nach 1945 Teil eines bedeutenden intellektuellen Kreises in Paris, der Gruppe Acéphale um den Philosophen Georges Bataille. In Paris traf sie Künstler wie André Breton und Alberto Giacometti. Im New Yorker Exil 1942–45 war sie eng eingebunden in die Diskussionen und Ausstellungen der Exil Surrealist:innen. Peggy Guggenheim stellte Waldbergs Constructions 1944 in ihrer legendären Galerie Art of this Century aus. Die drei Bildhauerinnen fanden in ihren jeweiligen Konstellationen mit ihren Beiträgen hohe Anerkennung und waren bekannt als Künstlerinnen, Herausgeberinnen und auch Autorinnen. Orte, an denen sich ihre Netzwerke überschnitten, sind Paris und New York – alle drei Künstlerinnen lebten immer wieder in der französischen Hauptstadt. Martins und Waldberg waren während der Kriegsjahre dann in New York tätig, während Mancoba in Paris die ganze Phase des Zweiten Weltkriegs miterlebte.

Isabelle Waldberg: Construction, um 1945, Privatsammlung
© Estate Isabelle Waldberg VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Maria Martins: L’impossible, Guß nach dem Original
von 1946, Fundação Itaú, São Paulo
© Estate Maria Martins, Foto: Vicente de Mello
Welche Rolle spielen die Künstlerinnen heute auf dem Kunstmarkt?
Es gibt ohne Frage Unterschiede darin, wie die Werke der drei Künstlerinnen auf dem Kunstmarkt gehandelt werden. Hier wird sich in den nächsten Jahren noch viel bewegen. In Sammlungen und Institutionen sind alle drei Bildhauerinnen mit ihren Werken vertreten. Unsere Leihgebenden-Liste macht nachvollziehbar, wie international das museale Interesse am Werk dieser Bildhauerinnen ist. Die großen Museen in skandinavischen Städten zeigen Mancobas Skulpturen und Plastiken inzwischen in ihren Dauerausstellungen und ihr Werk ist beispielsweise auch in Paris vertreten. Der Estate von Sonja Ferlov Mancoba wird von der Galerie Mikael Andersen vertreten. Maria Martins zählt zu den Künstlerinnen, die institutionell seit langer Zeit fest etabliert sind. Sie ist in renommierten Museen wie dem Museum of Modern Art New York, dem Philadelphia Museum sowie natürlich in den Museen moderner und zeitgenössischer Kunst in São Paulo, Rio de Janeiro und Brasília vertreten. Ihre Werke werden auf dem Kunstmarkt sehr hoch gehandelt. Isabelle Waldberg war durch ihre Berufung 1973 eine der ersten Professorinnen für Bildhauerei in Paris und hat sich dadurch in ihren späten Lebensjahren mit ihrem Werk etablieren können. Auch sie ist in zahlreichen Sammlungen in Frankreich und der Schweiz vertreten.
Wie schafft man es drei sehr unterschiedliche Bildhauerinnen in einer Ausstellung angemessen zu vereinen? Was war Ihre Leitidee hierfür?
Drei Positionen zu wählen war ideal für unser Projekt, denn sie formen eine Nachbarschaft, die einen erweiterten Horizont des cross-kontinentalen surrealistischen Netzwerks abbildet. Und doch handelt es sich nicht um eine thematische Übersichtsschau, sodass die drei Œuvres auch in der Tiefe vorgestellt werden können, als eigenständige Positionen. Die drei Werke der Bildhauerinnen sind herausragende Positionen, die in der internationalen surrealistischen Bewegung einen wichtigen gemeinsamen Nenner finden. Ihre Werke begegnen sich auch in Ausstellungen seit den 1940er-Jahren. Wenngleich sich die Künstlerinnen nicht notwendig persönlich kannten: Ihre Werke trafen aufeinander. Mancoba, Martins und Waldberg teilten an Orten wie Paris und New York eine künstlerische Zeitgenossenschaft. Motivische und thematische Überschneidungen sind dadurch erkennbar. Entsprechend fokussiert die Ausstellung In Her Hands sowohl auf den Aspekt der Übersicht und des Netzwerkes als auch das individuell Werkspezifische.

Sonja Ferlov Mancoba: Skulptur (uden title), 1940–1946,
© Estate Sonja Ferlov Mancoba / VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Sie verfolgen erstmals ein völlig neues Ausstellungskonzept. Was dürfen die Besuchenden erwarten?
Das Bucerius Kunst Forum mit Kathrin Baumstark und Team haben uns freie Hand gelassen, was die Installation und Inszenierung der Werke betrifft. So war es möglich, den Ausstellungsraum in seiner Großzügigkeit neu erlebbar zu machen. Die vorher verschlossenen Fensterfronten in den Stadtraum wurden geöffnet. Das Tageslicht und das urbane Leben können nun mit hineinspielen in die Wahrnehmung der Werke, was besonders auch die Bronzen ganz neu erlebbar macht. Die Trennwände wurden für In Her Hands nahezu alle entfernt. Die Ausstellungssektionen sind mit semitransparenten Vorhängen definiert. Es werden also eigenständige Werkpräsentationen ermöglicht, ohne Blickachsen zwischen den Werken der Künstlerinnen zu verstellen. Die Werke können miteinander kommunizieren. Die Besuchenden erwartet damit ein luftig-freier Parcours, der die Verbindungen und Netzwerke, die thematischen und motivischen Überschneidungen zwischen den drei Künstlerinnen nachvollziehbar macht. Die Ausstellung wirft wir ein neues Licht auf die Bildhauerei des 20. Jahrhunderts, denn die ausgestellten Werke beschreiben einen Entstehungszeitraum von den 1930er- bis in 1980er-Jahre hinein. Zugleich öffnen wir ein bislang so nicht bekanntes Kapitel der surrealistischen Bildhauerkunst.
Wenn Sie nur je eine Arbeit pro Künstlerin nennen dürfen, welche der ausgestellten Exponate hat Sie besonders berührt und warum?
Wir wählen drei der Hauptwerke, die etwa zur gleichen Zeit entstanden sind und die wir glücklicherweise in der Ausstellung versammeln konnten: Bei Sonja Ferlov Mancoba: Skulptur 1940–1946. Über die gesamten Kriegsjahre, wie die Jahreszahlen im Titel verdeutlichen, hat sich Mancoba fast ausschließlich mit dieser abstrakten plastischen Grossform beschäftigt. Man kann das Werk als ein raumgreifendes, keilförmiges Volumen beschreiben, das durch eine obere Öffnung, ähnlich einem magischen Stirnauge, eine kreatürliche Anmutung bekommt. Bei Maria Martins ist The Impossible / Das Unmögliche als ikonische Arbeit hervorzuheben. Entstanden in den USA, stand die Bronze nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Paris im Zentrum der kunstgeschichtlich bedeutenden Ausstellung Exposition internationale du surréalisme en 1947 in der Galerie Maeght. The Impossible besteht aus zwei Figuren, die sich mit ihren Köpfen – wie aufgerissene Rachen fleischfressender Pflanzen – einer unmöglichen Umarmung annähern. Dieses Werk von Martins war in der erwähnten Ausstellung gemeinsam mit den so genannten Constructions / Konstruktionen von Isabelle Waldberg platziert. Die Arbeit entstand 1945. Zu sehen ist eine hochformatige, äußerst fragile Konstruktion aus Buchenholzstäbchen, Schnur und Klebstoff. Das abstrakt erscheinende Werk ermöglicht im Umschreiten Lesarten von Energien figürlicher Vereinigung bis zu pflanzlichem Wachstum und vielleicht darf man auch an den für die Europäer überwältigenden Eindruck der New Yorker Skyscraper denken.
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