„In Her Hand“: Interview über die Bedeutung des Werks der drei surrealistischen Bildhauerinnen

„In Her Hand“: Interview über die Bedeutung des Werks der drei surrealistischen Bildhauerinnen 2560 1707 Verena Liebeck
#kunst­i­mal­tenwall

„In Her Hand“: Interview über die Bedeutung des Werks der drei surrealistischen Bildhauerinnen

17. April 2025

Renate Wiehager und Katharina Neuburger in In Her Hands. Bildhaue­rinnen des Surrea­lismus, Bucerius Kunst Forum, Foto: Ulrich Perrey

Die beein­dru­ckende Ausstellung „In Her Hands. Bildhaue­rinnen des Surrea­lismus“ läuft noch bis 1. Juni 2025 im Bucerius Kunst Forum am Alte Wall. Wir sprachen mit den beiden Kurato­rinnen Katharina Neuburger und Renate Wiehager.

Alle drei Künst­le­rinnen waren Teil der inter­na­tio­nalen Avant­garde vor dem zweiten Weltkrieg. Aber bekamen sie damals auch die Anerkennung, die ihnen gebührte? 

Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg waren die drei Künst­le­rinnen Teil wichtiger Bewegungen: Sonja Ferlov Mancoba (1911–1984) agierte im Zentrum unter­schied­licher Gruppen, etwa der skandi­na­vi­schen Gruppe linien. Gemeinsam etablierten die Mitglieder mittels Ausstel­lungen und Publi­ka­tionen ein europäi­sches Netzwerk künst­le­ri­scher Koope­ra­tionen. Maria Martins (1894–1973) war seit ihrem Umzug 1939 in die USA, wo sie lange Zeit lebte, ein erfolg­reicher Teil des Netzwerkes von Künstler:innen im ameri­ka­ni­schen Exil, darunter André Breton, Marcel Duchamp und Peggy Guggenheim. Rio de Janeiro, Paris, Tokio, Brüssel und Kopen­hagen zählen zuvor zu ihren wichtigsten Stationen, überall machte sie Bekannt­schaft mit Akteur:innen unter­schied­lichster Bewegungen. Isabelle Waldberg (1911–1990) war 1938–40 und dann wieder nach 1945 Teil eines bedeu­tenden intel­lek­tu­ellen Kreises in Paris, der Gruppe Acéphale um den Philo­sophen Georges Bataille. In Paris traf sie Künstler wie André Breton und Alberto Giaco­metti. Im New Yorker Exil 1942–45 war sie eng einge­bunden in die Diskus­sionen und Ausstel­lungen der Exil Surrealist:innen. Peggy Guggenheim stellte Waldbergs Construc­tions 1944 in ihrer legen­dären Galerie Art of this Century aus. Die drei Bildhaue­rinnen fanden in ihren jewei­ligen Konstel­la­tionen mit ihren Beiträgen hohe Anerkennung und waren bekannt als Künst­le­rinnen, Heraus­ge­be­rinnen und auch Autorinnen. Orte, an denen sich ihre Netzwerke überschnitten, sind Paris und New York – alle drei Künst­le­rinnen lebten immer wieder in der franzö­si­schen Haupt­stadt. Martins und Waldberg waren während der Kriegs­jahre dann in New York tätig, während Mancoba in Paris die ganze Phase des Zweiten Weltkriegs miterlebte.

Isabelle Waldberg: Construction, um 1945, Privatsammlung
© Estate Isabelle Waldberg VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Maria Martins: L’impos­sible, Guß nach dem Original
von 1946, Fundação Itaú, São Paulo
© Estate Maria Martins, Foto: Vicente de Mello

Welche Rolle spielen die Künst­le­rinnen heute auf dem Kunstmarkt? 

Es gibt ohne Frage Unter­schiede darin, wie die Werke der drei Künst­le­rinnen auf dem Kunst­markt gehandelt werden. Hier wird sich in den nächsten Jahren noch viel bewegen. In Sammlungen und Insti­tu­tionen sind alle drei Bildhaue­rinnen mit ihren Werken vertreten. Unsere Leihge­benden-Liste macht nachvoll­ziehbar, wie inter­na­tional das museale Interesse am Werk dieser Bildhaue­rinnen ist. Die großen Museen in skandi­na­vi­schen Städten zeigen Mancobas Skulp­turen und Plastiken inzwi­schen in ihren Dauer­aus­stel­lungen und ihr Werk ist beispiels­weise auch in Paris vertreten. Der Estate von Sonja Ferlov Mancoba wird von der Galerie Mikael Andersen vertreten. Maria Martins zählt zu den Künst­le­rinnen, die insti­tu­tionell seit langer Zeit fest etabliert sind. Sie ist in renom­mierten Museen wie dem Museum of Modern Art New York, dem Philadelphia Museum sowie natürlich in den Museen moderner und zeitge­nös­si­scher Kunst in São Paulo, Rio de Janeiro und Brasília vertreten. Ihre Werke werden auf dem Kunst­markt sehr hoch gehandelt. Isabelle Waldberg war durch ihre Berufung 1973 eine der ersten Profes­so­rinnen für Bildhauerei in Paris und hat sich dadurch in ihren späten Lebens­jahren mit ihrem Werk etablieren können. Auch sie ist in zahlreichen Sammlungen in Frank­reich und der Schweiz vertreten.

Wie schafft man es drei sehr unter­schied­liche Bildhaue­rinnen in einer Ausstellung angemessen zu vereinen? Was war Ihre Leitidee hierfür?

Drei Positionen zu wählen war ideal für unser Projekt, denn sie formen eine Nachbar­schaft, die einen erwei­terten Horizont des cross-konti­nen­talen surrea­lis­ti­schen Netzwerks abbildet. Und doch handelt es sich nicht um eine thema­tische Übersichts­schau, sodass die drei Œuvres auch in der Tiefe vorge­stellt werden können, als eigen­ständige Positionen. Die drei Werke der Bildhaue­rinnen sind heraus­ra­gende Positionen, die in der inter­na­tio­nalen surrea­lis­ti­schen Bewegung einen wichtigen gemein­samen Nenner finden. Ihre Werke begegnen sich auch in Ausstel­lungen seit den 1940er-Jahren. Wenngleich sich die Künst­le­rinnen nicht notwendig persönlich kannten: Ihre Werke trafen aufein­ander. Mancoba, Martins und Waldberg teilten an Orten wie Paris und New York eine künst­le­rische Zeitge­nos­sen­schaft. Motivische und thema­tische Überschnei­dungen sind dadurch erkennbar. Entspre­chend fokus­siert die Ausstellung In Her Hands sowohl auf den Aspekt der Übersicht und des Netzwerkes als auch das indivi­duell Werkspezifische.

Sonja Ferlov Mancoba: Skulptur (uden title), 1940–1946,
© Estate Sonja Ferlov Mancoba / VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Sie verfolgen erstmals ein völlig neues Ausstel­lungs­konzept. Was dürfen die Besuchenden erwarten? 

Das Bucerius Kunst Forum mit Kathrin Baumstark und Team haben uns freie Hand gelassen, was die Instal­lation und Insze­nierung der Werke betrifft. So war es möglich, den Ausstel­lungsraum in seiner Großzü­gigkeit neu erlebbar zu machen. Die vorher verschlos­senen Fenster­fronten in den Stadtraum wurden geöffnet. Das Tages­licht und das urbane Leben können nun mit hinein­spielen in die Wahrnehmung der Werke, was besonders auch die Bronzen ganz neu erlebbar macht. Die Trenn­wände wurden für In Her Hands nahezu alle entfernt. Die Ausstel­lungs­sek­tionen sind mit semitrans­pa­renten Vorhängen definiert. Es werden also eigen­ständige Werkprä­sen­ta­tionen ermög­licht, ohne Blick­achsen zwischen den Werken der Künst­le­rinnen zu verstellen. Die Werke können mitein­ander kommu­ni­zieren. Die Besuchenden erwartet damit ein luftig-freier Parcours, der die Verbin­dungen und Netzwerke, die thema­ti­schen und motivi­schen Überschnei­dungen zwischen den drei Künst­le­rinnen nachvoll­ziehbar macht. Die Ausstellung wirft wir ein neues Licht auf die Bildhauerei des 20. Jahrhun­derts, denn die ausge­stellten Werke beschreiben einen Entste­hungs­zeitraum von den 1930er- bis in 1980er-Jahre hinein. Zugleich öffnen wir ein bislang so nicht bekanntes Kapitel der surrea­lis­ti­schen Bildhauerkunst.

Wenn Sie nur je eine Arbeit pro Künst­lerin nennen dürfen, welche der ausge­stellten Exponate hat Sie besonders berührt und warum?

Wir wählen drei der Haupt­werke, die etwa zur gleichen Zeit entstanden sind und die wir glück­li­cher­weise in der Ausstellung versammeln konnten: Bei Sonja Ferlov Mancoba: Skulptur 1940–1946. Über die gesamten Kriegs­jahre, wie die Jahres­zahlen im Titel verdeut­lichen, hat sich Mancoba fast ausschließlich mit dieser abstrakten plasti­schen Grossform beschäftigt. Man kann das Werk als ein raumgrei­fendes, keilför­miges Volumen beschreiben, das durch eine obere Öffnung, ähnlich einem magischen Stirnauge, eine kreatür­liche Anmutung bekommt. Bei Maria Martins ist The Impos­sible / Das Unmög­liche als ikonische Arbeit hervor­zu­heben. Entstanden in den USA, stand die Bronze nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Paris im Zentrum der kunst­ge­schichtlich bedeu­tenden Ausstellung Exposition inter­na­tionale du surré­a­lisme en 1947 in der Galerie Maeght. The Impos­sible besteht aus zwei Figuren, die sich mit ihren Köpfen – wie aufge­rissene Rachen fleisch­fres­sender Pflanzen – einer unmög­lichen Umarmung annähern. Dieses Werk von Martins war in der erwähnten Ausstellung gemeinsam mit den so genannten Construc­tions / Konstruk­tionen von Isabelle Waldberg platziert. Die Arbeit entstand 1945. Zu sehen ist eine hochfor­matige, äußerst fragile Konstruktion aus Buchen­holz­stäbchen, Schnur und Klebstoff. Das abstrakt erschei­nende Werk ermög­licht im Umschreiten Lesarten von Energien figür­licher Verei­nigung bis zu pflanz­lichem Wachstum und vielleicht darf man auch an den für die Europäer überwäl­ti­genden Eindruck der New Yorker Skyscraper denken.

Weitere Infos und Tickets:

https://www.buceriuskunstforum.de/