Architekturhistoriker Gert Kähler: „Die Auseinandersetzung zwischen Bestand und Moderne ist spannend“
Der Herausgeber des Architekturbildbandes „Alter Wall – Neue Stadt“ erzählt über seinen Werdegang vom Architekten zum Publizisten, seine Tendenz zu gut gemachter normaler Architektur und was er am Alten Wall für besonders gelungen hält.
Dass die faszinierende Geschichte der Neuentwicklung des Flanier-Boulevards Alter Wall in zahlreichen Bilddokumenten und mit unterschiedlichen Blickwinkeln in einem 256 Seiten dicken Buch so spannend zusammengetragen wurde, ist auch sein Verdienst. Denn auf Anregung des Architektenbüros GMP, die das neue Gesicht des Alten Wall mitentwickelt haben, fungierte Gert Kähler als Herausgeber. Wer sich in Deutschland mit Architekturgeschichte beschäftigt, kommt an dem gebürtigen Eppendorfer nicht vorbei. Denn er ist so etwas wie der Grandseigneur der Architekturvermittlung. Zahlreiche Publikationen, TV-Berichte und sogar ein Kinderbuch (Scifun-City) machten ihn zu einem der bekanntesten Publizisten zum Thema Architektur. Und das obwohl er eigentlich von Haus aus Architekt ist.
Sieben Jahre lang übte er den Beruf nach seinem Studium in Berlin auch aus, folgte aber dann seinem damaligen Chef, der als Professor nach Hannover ging. Das fiel ihm nicht schwer, denn er selbst hielt sich nicht für einen guten Architekten. „An den Hochschulen lernt man nicht, wie man baut, sondern nur wie man entwirft. Ich hatte zu viel Respekt mit dem Geld anderer Leute zu hantieren. Wenn man aber Angst vorm Bauen hat, ist man kein guter Architekt.“ Und so landete er zunächst als Hochschul-Assistent in der Lehre. Er promovierte und habilitierte sogar und hatte diverse Gastprofessuren für Architekturgeschichte in Aachen, Braunschweig und Berlin inne. Ein feste Professur blieb ihm jedoch versagt und so entschied er sich 1988 für die Freiberuflichkeit und begann „Architektur zu vermitteln“. Zwar hatte er keine publizistische Ausbildung, aber das Schreiben über Architektur lag ihm. „Wenn man genug veröffentlicht hat, ist man Fachmann“, erinnert er sich mit einem kleinen Schmunzeln auf den Lippen. Damals gab es ein großes Interesse und eine breite Berichterstattung über architektonische Entwicklungen. Gert Kähler schrieb aber nicht nur für renommierte Zeitungen wie die Süddeutsche Zeitung und FAZ, auch Fernsehreportagen etwa für das ZDF und den NDR drehte er.
Plädoyer für das Normale
Sein Blick auf die Architektur in der Hansestadt ist unverklärt. „Das Herausragende fehlt in Hamburg. Die Elphi ist eine Ausnahme. Und im Wohnungsbau ist Hamburg guter Durchschnitt.“ Was sich eher kritisch anhört, ist von Kähler gar nicht negativ gemeint. Er ist ein Befürworter von „gut gemachtem Normalen“. Gerade Wohn- und Bürohäuser müssen seiner Meinung nach eher praktisch sein und funktionieren, als „architektonisches Spektakel zu bieten“. „Warum muss an der Reeperbahn ein schiefer Büroturm stehen? Das wirkt wie ein Gag, der nach dem ersten Hingucken aufdringlich wird. Ein solches Gebäude steht jedoch mindestens 50 Jahre“, merkt er zu dem von Hadi Teherani entworfenen Turm an. Architektur, die er in Hamburg schätzt, sind häufig Gebäude, bei denen „eine Auseinandersetzung von Moderne und Bestand“ stattfindet. So hält er das Barlach-Haus im Jenisch-Park, das dem klassischen Jenisch-Haus entgegengesetzt wurde, für sehr gelungen. Auch das Hanseviertel, das sich erstmals wieder mit Backstein beschäftigte, führt er als positives Beispiel an.
Und seine Aussage zum Alten Wall ist in seiner Welt ein großes Lob: „Der Umbau am Alten Wall ist gelungen“. Dabei findet er nicht nur für die technischen Herausforderungen würdigende Worte. „Der Alte Wall ist eine Aufwertung für das gesamte Quartier. Und die neue Verbindung durch Rathaushof über die neue Brücke übers Fleet ist eine städtebaulich bemerkenswerte Entscheidung gewesen.“ Die Verbindung vom Bestand und Moderne hat für ihn im Uniqlo-Shop am Kopf des Alten Wall ein sichtbares, herausragendes Ergebnis erbracht. In dem Laden der internationalen Modekette führt nämlich zum Beispiel eine geschwungene moderne Treppe unter dem erhaltenen Octagon in die anderen Etagen. Neben der Treppe sind wunderschöne Säulen mit alten Mosaiken zu entdecken. „Diese Kombination ist sehr gelungen.“ Das klingt schon fast schwärmerisch.
Auch wenn Gert Kähler inzwischen wieder in Eppendorf wohnt, erinnert er sich gerne an seine Zeit, als er in der Altstadt von Altona lebte. „Dort gab es eine sehr vielfältige Mischung von Milieus.“ Seine Faszination für Architektur ist auch heute noch ungebrochen. So arbeitet er zurzeit an einem Lehrbuch über 250 Jahre Architekturentwicklung für Studierende. Und macht damit einmal mehr, was er am besten kann: Architektur vermitteln.
Weitere Informationen
Das Buch „Alter Wall – Neue Stadt“ ist im Dölling und Galitz-Verlag erschienen und kann für 34 Euro im Buchhandel gekauft werden. Das Buch ist auch erhältlich im Bucerius Book Shop im Alten Wall 12 im Bucerius Kunst Forum.