Künstler Olafur Eliasson: „Eine Atempause im Trubel der Großstadt“
Seit letztem Oktober laden die beiden Skulpturen des Künstlers Olafur Eliasson auf dem Alten Wall, Hamburger und Hamburgerinnen und Gäste von auswärts ein, einen neuen Blick auf unsere Umgebung und den Himmel zu werfen.
Am 5. Oktober 2020 wurden die beiden Skulpturen von Olafur Eliasson, die zusammen das Kunstwerk Gesellschaftsspiegel bilden, auf dem Alten Wall eingeweiht. Der dänisch-isländische Künstler möchte uns mit diesem Werk einladen, den Blick nach oben zum Himmel zu richten. Denn für den weltweit renommierten Artist ist „der Himmel ein entscheidender Teil der Stadtlandschaft - er ist unser gemeinsamer, geteilter Raum.“ Seitdem sieht man häufig Menschen unter den Skulpturen stehen, wie sie fasziniert die Köpfe recken und Fotos machen.
Die zwei geometrischen Skulpturen in neun Meter Höhe sind mit braunschwarz patiniertem Messing ummantelt. Beim Blick nach oben - in die verspiegelten Kaleidoskope im Inneren der Türme - lässt sich je eine facettierte Kugelform entdecken, in deren Zentrum ein Stück Himmel eingefangen wird. Das Kunstwerk gestattet eine individuelle Betrachtungsweise auf das Zusammenspiel zwischen Himmel, Wolken, Sonne, Regen, Licht sowie historischem Gebäudeensemble und moderner Kunst im öffentlichen Raum. Gesellschaftsspiegel ist ein Highlight für die Hamburger Bevölkerung und vor allem für die Besucher des Alten Walls. Wir sprachen mit Olafur Eliasson über die Idee hinter seinem Kunstwerk
Was hat Sie zu Ihrem Werk „Gesellschaftsspiegel“ inspiriert und warum passt es gut zum Alten Wall?
Olafur Eliasson: Das Nachdenken über den öffentlichen Raum hat mich über die Jahre immer wieder inspiriert, gerade in einer Stadt wie Hamburg, der man eine ähnliche Raumlogik zuschreibt wie Kopenhagen, wo ich aufgewachsen bin, oder Berlin, wo ich einen Großteil meines Berufslebens verbracht habe. Es gibt natürlich eine konventionelle Art der Nutzung des öffentlichen Raums, verstärkt durch die Art und Weise, wie der Handel in einer Fußgängerzone wie dem Alten Wall organisiert ist: Wenn ich etwa nicht hinschaue, wo ich langgehe, schweift mein Blick ständig zu den Geschäften und den dort angebotenen Produkten. Aber was ich fast nie tue, ist nach oben in den Himmel zu schauen. In vielen Städten ist es fast so, als ob der Himmel und das Wetter nicht existieren sollen. Gesellschaftsspiegel bricht gezielt mit dieser konventionellen Sichtweise im öffentlichen Raum, indem er Ihnen einen unerwarteten Ausblick bietet, den Blick nach oben auf ein Himmelsfragment richtet und uns – wenn Sie so wollen - eine Atempause vom Trubel der Großstadt verschafft.
Wir alle haben die letzten Monate viel Zeit in Innenräumen verbracht. Jetzt kehrt das Leben in die Städte zurück. Muss sich vor diesem Hintergrund die Rolle des öffentlichen Raumes verändern?
Olafur Eliasson: Zu Beginn der Pandemie haben mein Freund, der Wissenschaftler Andreas Roepstorff und ich ein Web-Experiment zusammengestellt und die Leute gebeten, darüber nachzudenken, was sich verändert hat und was wir von diesen Veränderungen erwarten. Für mich ist dies immer noch eine drängende Frage, inwiefern sich unser Leben während der Pandemie verändert hat und wie sich dies auf den öffentlichen Raum auswirkt. Natürlich dürfen wir unseren Begriff des öffentlichen Raums nicht auf den physischen Raum beschränken, wie wir in den letzten Monaten gelernt haben. Die Menschen waren unglaublich kreativ darin, Wege zu finden, zusammen zu sein, während sie physisch getrennt waren. Mir gefällt, wie einfallsreich die Menschen waren, sich trotz der notwendigen Einschränkungen weiterhin für künstlerische Praktiken zu interessieren und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Ihre Kunst lädt Menschen ein, neue Sichtweisen auf die Umgebung zu entwickeln. Darf Ihre Kunst auch nur erfreuen?
Olafur Eliasson: Wir sollten die Bedeutung von Schönheit und Genuss beim Schaffen von Kunst nicht unterschätzen – gerade in Krisenzeiten. Ich habe in all den Monaten der Angst vor COVID-19 und geopolitischen Entwicklungen sicherlich ein Bedürfnis nach Erleichterung verspürt. Ich glaube, dass Gesellschaftsspiegel einen spielerischen Moment in einem stark instrumentalisierten und kontrollierten Raum bietet. Der Genuss, den es bietet, ist hoffentlich nicht quantifizierbar und entzieht sich der Konsumlogik.
Verraten Sie uns, wie Sie am besten auf Ihre Ideen kommen?
Olafur Eliasson: Meine Ideen entstehen im Allgemeinen intuitiv, in einem vorsprachlichen Raum. Ich versuche, so lange wie möglich an diesem nebulösen Ort zu bleiben, bevor ich beginne, Dinge in Worte zu fassen. Dann neige ich dazu, zusammen mit meinem Studioteam zu zeichnen, zu skizzieren oder Modelle zu bauen. Es folgt eine wichtige Phase der Überarbeitung und praktischen Überlegungen, die zu weiteren Veränderungen in der Idee und Form der Arbeit führen. Aber die Ideen sind erst dann wirklich vollständig, wenn sie dem Publikum begegnen, wenn sie sich physisch in einem Raum befinden und der Betrachter mit ihnen interagieren und sie koproduzieren können.