Sarah Janning-Picker: „Als Guide muss man sich auf jeden Gast individuell einstellen“
Seit zwei Jahren besteht zwischen Immobilienentwickler Art-Invest Real Estate und Gästeführerverein Hamburg Guides eine Kooperation. Wir fragen nach, wie sich der Tourismus nach Corona entwickelt hat und welche Touren die beliebtesten sind.
Der Hamburg Guides e.V. ist einer der führenden Vereine für Führungen in Hamburg und vereint über 80 selbstständige, professionell ausgebildete Hamburger Gästeführer und Gästeführerinnen. Etwa ein Drittel von ihnen führt hauptberuflich Gäste. Bis zu 5.000 Touren in bis zu 20 Sprachen bieten die Hamburg Guides – von Architektur über Kunst, VIP-Führungen mit Limousinen-Service bis hin zu klassischen Innenstadtführungen sowie auf Anfrage weitere Spezialthemen. Wir sprachen mit Sarah Janning-Picker, 1. Vorsitzende des Hamburg Guide e.V., über die Entwicklung im Tourismus, Geheimtipps in Hamburg und wie man Profi-Guide werden kann.
Sarah, Du bist seit vielen Jahren Gästeführerin und kennst Hamburg aus dem Effeff. Was begeistert Dich nach wie vor an Hamburg?
Sarah Janning-Picker: Gerade wenn ich aus dem Ausland zurückkomme, fällt mir die Offenheit Hamburgs auf. Das bezieht sich nicht nur auf die Charakterzüge, sondern auch auf den Platz. Mein Lieblingsadjektiv für Hamburg ist „luftig“. Wir haben viel Wind und viel Luft. Die Stadt engt nicht ein, es gibt nicht so viele hohe Gebäude, pro Einwohner gibt es viel Platz. Paris hat zum Beispiel etwa zehnmal so viele Einwohner pro Quadratmeter wie Hamburg. Diese besondere Luftigkeit spüren die Gäste auch meist selbst.
Kann eigentlich jeder Guide werden?
SJP: Im Prinzip kann es jeder werden, da es kein geschützter Beruf ist. Leider gibt es daher auch viele Guides, die keine Ausbildung haben. Das ist bei den Hamburg Guides anders. Wir bilden alle zwei Jahre ca. 15 neue Kolleg:innen aus. In diesem Jahr geht es im September wieder los und die Ausbildung dauert sechs Monate. Sie beruht auf einem europäischen Standard, der in Deutschland nach Sternen eingeteilt wird. Für die Grundausbildung, die das Basiswissen zur Stadt umfasst, bekommt man einen Stern. Wir ermuntern aber jedes Mitglied bei uns, sich zum Beispiel durch unsere eigenen Veranstaltungen weiter fortzubilden. Bei den weiteren Sternen lernt man zusätzliche Fähigkeiten wie Rhetorik, nonverbale Kommunikation und Konfliktmanagement. Und natürlich führen wir in der Grundausbildung auch viele Praxistermine sowohl zu Fuß als auch im Umgang mit Reisebus-Tourismus durch.
Hamburg hat nach den schweren Corona-Jahren wieder wachsende Gästezahlen. Wie beurteilt Ihr die Situation?
SJP: Es stimmt, die Führungen haben deutlich zugenommen. Manche Guides haben mehr Aufträge als vor der Pandemie. Unter anderem profitieren wir von den ca. 280 Kreuzfahrtschiffen, die in Hamburg einlaufen. Das hat auch mit dem Ukraine-Krieg zu tun. Viele Ostsee-Kreuzfahrten steuern Ziele wie zum Beispiel St. Petersburg nicht mehr an und nehmen stattdessen Hamburg und Kiel in ihre Route auf. Auch für 2023 erwarten wir ähnlich viele Kreuzschiffe und Gäste wie im letzten Jahr. Auch die Busreisen sind zurück. Es fehlen aber nach wie vor die asiatischen Gäste.
Welches sind die Lieblingstouren der Gäste?
SJP: Gäste, die das erste Mal in Hamburg sind, machen die klassische Altstadt-Tour mit Alster, Michel, Rathaus und natürlich dem Alten Wall. Auch wegen der Elbphilharmonie sind Touren durch die HafenCity und Speicherstadt sehr beliebt. Und der dritte Klassiker sind Führungen durch St. Pauli. Gäste möchten die Reeperbahn gesehen haben, aber das Viertel ist auch sehr geschichtsträchtig und hat kulturell sehr viel zu bieten. Bis 1937 war St. Pauli eine Art Puffer zwischen Hamburg und dem heutigen Bezirk Altona, das bis dahin eine eigenständige Stadt war.
Gibt es bei den Nationen einen Unterschied?
SJP: Die Routen sind eigentlich ähnlich. Osteuropäische Gäste sind zum Beispiel sehr wissbegierig. Amerikaner und Deutsche mögen es, wenn wir auch mal eine Informationspause einlegen und sie sich in Ruhe umschauen können. Asiatische Kunden gehen am liebsten einkaufen und Foto-Spots ablaufen. Wir begleiten auch häufig Schulklassen, weil der Hamburger Hafen Teil vieler Lehrpläne ist. Als Gästeführer:in muss man sich also auf jeden Gast, jede Nation und jede Gruppe individuell einstellen.
Das Team der Hamburg Guides.
Hast Du eine persönliche Lieblingstour?
SJP: Ich liebe die Speicherstadt mit den Backsteingebäuden, diese besondere Architektur. Dabei ist die Speicherstadt nicht nur UNESCO Weltkulturerbe, sie hat auch eine zwiespältige Geschichte. Als die Speicherstadt gebaut und 1888 fertiggestellt wurde, mussten vorher ca. 20.000 Menschen weichen, die dort vorher gewohnt haben.
Die Hamburg Guides zeigen bei den Altstadt-Touren auch meist den Alten Wall. Wie reagieren die Gäste auf den neu gestalteten und geschichtsträchtigen Boulevard?
SJP: Es ist super interessant, wie Hamburger:innen reagieren, die meist meinen, schon alles gesehen zu haben. Oft kennen sie die sanierte Straße noch gar nicht und sind dann total begeistert. Auch ausländische Besucher:innen mögen die großzügige Fläche der Promenade. Vor allem die Kunstwerke von Olafur Eliasson kommen super gut an. Das Fotomotiv vom inneren Kaleidoskop ist genial.
Was wäre ein Geheimtipp für Menschen, die Hamburg wirklich gut kennen?
SJP: Das ist ganz klar eine Tour durch die Kontorhäuser wie das Chilehaus, den Laeisz-Hof oder das Hildebrand-Haus unserer Stadt. Einige Menschen kennen sie von außen, aber kaum jemand von innen. Dabei stößt man dort auf prächtige Treppenhäuser, die wie Empfangshallen gestaltet sind.
Im Februar feiert Ihr den Weltgästeführertag. Was darf man erwarten?
SJP: An diesem Tag, dem 21. Februar 2023, feiern Gästeführer auf der ganzen Welt unseren Berufsstand mit Aktionen und wollen das Gute am Tourismus präsentieren. Wir in Hamburg feiern dieses Jahr am 26. Februar und bieten zwei kostenlose Kurz-Rundgänge an, die vom Museum für Hamburgische Geschichte starten. Eine Tour führt am Komponistenquartier vorbei, durch den Lichtwarksaal zum Michel. Die andere über die Reeperbahn am Spielbudenplatz vorbei bis zum Beatles-Platz. Im Museum kann man außerdem die Ausstellung „Eine Stadt wird bunt“ anschauen, ehe es später im Jahr für drei Jahre komplett geschlossen wird. Jeder kann einfach spontan zwischen 11 und 15 Uhr vorbeikommen und an einer der Touren teilnehmen.
Darüber hinaus planen wir in Kooperation mit dem Alten Wall spezielle Touren für ukrainische Flüchtlinge, die die Stadt besser kennenlernen wollen, mit einer Kollegin die Ukrainisch und Russisch spricht. An den Details arbeiten wir derzeit.
Weitere Infos zu den Hamburg Guides:
Fotos: Götz Wrage